Statue

Villa rustica Leutstetten

Im Würmtal südlich von Leutstetten zum Waldrand hin steht die Villa rustica.

Fundumstände

Erstmals wurde man Ende der 70er-Jahre aufmerksam, als Ziegel- und Tuffbrocken auf dem Acker entdeckt wurden, ein Hinweis auf römische Hinterlassenschaft. Als weitere Maßnahmen intensiver Landwirtschaft immer mehr derartige Überreste an die Oberfläche brachten, entschloß sich die Gesellschaft für Archäologie und Geschichte – Oberes Würmtal e.V. Ende 2001, die Genehmigung für eine Notgrabung einzuholen, die dann ab Dezember 2001 von der Gesellschaft -  unter archäologisch professioneller Leitung -  auch durchgeführt wurde.
(Abb. 1

Die römischen Gutshöfe, Villae Rusticae, waren i. a. landwirtschaftliche Betriebe, die ihren Überschuß in die Vici lieferten und sich ihrerseits dort mit dem Nötigen versorgten, was sie nicht selbst produzieren konnten. Sie waren im Land verteilt wie heutzutage Aussiedlerhöfe. Sie ernährten sich selbst und hatten entsprechende Einrichtungen wie Scheunen, Ställe, Werkstätten usw. Größenmäßig gab es eine außerordentliche Bandbreite, von palastartigen Anlagen mit entsprechendem Grundbesitz bis zu einfachen Bauernhöfen, die oft auf vorhandene Gehöfte der einheimischen Bevölkerung zurückgingen. (Abb. Abb. 3)

 

Zu sehen sind die Reste des ehemaligen Hauptgebäudes. Es hatte ca. 25 m Frontlänge und war ca. 8 bzw. 14 Meter breit. Aus den Funden wissen wir, daß das Haus mit Ziegeln gedeckt war und Glasfenster besaß. Seine Frontseite lag im Norden mit Blick auf das damals noch nicht existierende Leutstetten. In dieser Richtung lag sicher der Zugang, der sich zur Hauptstraße aus Kempten orientiert hat. (Abb. 4)  

Von der originalen Substanz erhalten ist die hier sichtbare, konservierte Fußbodenheizung in 2 Bauphasen sowie ein Raum im Westen, der vermutlich als Keller diente und im Rahmen der jetztzeitigen Restaurierung und Konservierung wieder mit Erde abgedeckt wurde.(Abb. 5)

Eine Besonderheit ist die Wanne mit Original-Bleirohr als Abfluß. Wegen der geringen Größe ist ihre Funktion nicht ganz klar;  zum Baden oder Eintauchen mag es gereicht haben, möglicherweise diente sie auch wohnlichen/kultischen Zwecken (Zimmer-Brunnen).(Abb. 6)

  

Der restliche Bau bestand wahrscheinlich aus Fachwerk mit Tuff-Grundmauern, von denen, bis auf den erwähnten Keller im Westen nichts mehr erhalten ist. Die Tuffsteine wurden im Mittelalter ausgegraben und weiterverwendet, vielleicht in der nahen Karlsburg, vielleicht in alten Bauernhäusern in Leutstetten, vielleicht in der dortigen Kirche St. Alto. Behauenes und geeignetes Baumaterial ließ man sich nicht entgehen.

Die Fußbodenheizung oder das Hypocaustum war eine der zivilisatorischen Errungenschaften, die die Römer in den unwirtlichen Norden für den eigenen Komfort exportierten. (Abb. 7

Man kann beim hier vorliegenden Hypocaustum deutlich 2 Bauphasen unterscheiden. (Abb. 8)

In der ersten wurden Tuffsäulen verwendet, ein nicht selbstverständlicher Luxus in der hiesigen Gegend. Eine Säule im Norden war urspr. als Weihestein gedacht, da, deutlich sichtbar, ein vertieftes Schriftfeld vorbereitet war; vermutlich ist der Stein zerbrochen oder tauchten Lücken in der Struktur auf, was bei Tuff immer wieder passieren kann. Als Hypocaustensäule war er aber immer noch verwendbar.

Diese erste Bauphase reichte bis zu der noch klar erkennbaren Natursteinmauer, auf der noch zwei Tubuli zu sehen sind.

Die 2. Bauphase, eine Erweiterung des beheizten Raumes, ist in Material und Verarbeitung deutlich von der 1. abgesetzt. (Abb. 9) Die Säulen wurden aus Ziegeln aufgemauert, wobei alles mögliche Material, bis hin zu Bruchstücken von Dachziegeln, verwendet wurde. Es sieht so aus, als ob sozusagen in Heimarbeit gebastelt worden wäre.

  

An den verschiedenen Schürlöchern kann man auch erkennen, wie offensichtlich herumexperimentiert wurde. Die Feuerstelle der 1. Bauphase war im Norden und wurde in der 2. Bauphase vermauert. Dann legte man die nächste Feuerstelle im Osten an, was anscheinend  wenig erfolgreich war; auch diese wurde wieder vermauert, bis schließlich im Süden die endgültige, mit hinreichend Zug ausgestattete Position gefunden wurde.

Zu dem Anwesen müssen auch Wirtschaftsgebäude (Stallungen, Scheune) und vermutlich ein Badehaus gehört haben. Diese Gebäude waren entweder nur aus Holz gefertigt oder aus Stein praktisch ohne Fundamente errichtet, denn steinerne Strukturen konnten außer dem Haupthaus nicht gefunden werden. Bei der geomagnetischen Untersuchung im Jahr 2020 zeigten sich südöstlich von der Villa in der Wiese am Waldrand  schwache Holzstrukturen im Boden.

  

 Funde

Fundgegenstände tauchten sowohl im Haus als auch im nordöstlich gelegenen Brunnen auf.

Terra sigillata Schale

 Aus dem Brunnen stammt die Schale des Töpfers CINNAMUS, der in einem der wichtigen Produktionsorte im heutigen Lezoux bei Clermont-Ferrand am östlichen Rand des französischen Zentralmassivs arbeitete. (Abb. 10) Sie dürfte eine Opfergabe gewesen sein, da sie praktisch neuwertig in den Brunnen gelangte. Sie ist eine sog. reliefverzierte Terra sigillata Schale, also ein Repräsentant des römischen Edelgeschirrs. Diese Art von Geschirr wurde nicht überall im römischen Reich hergestellt. Man benötigte eine spezielle Art von Ton, die zudem in besonderer, auch zeitraubender Weise verarbeitet wurde.

   

Abb. 10 Terra sigillata-Schale aus der Werkstatt des Cinnamus


In sog. Formschüsseln, in der Funktion vergleichbar den heutigen Springerle- oder Spekulatius-Modeln, wurde der Ton auf einer Drehscheibe eingedrückt, dort leicht getrocknet, entnommen, mit glattem Rand und einem Fuß versehen, mit einer dünnen Tonemulsion, sozusagen als Glasur, überzogen und gebrannt. Die glänzende Oberfläche ist also keine Glasur im heutigen Sinn, da sie im gleichen Brennvorgang wie das Gefäß selbst entstand.
 
Bekannte Töpfer versahen die Gefäße mit ihrem eingestempelten Namen, so auch Cinnamus, der etwa zwischen 150 und 180 n. Chr. produktiv war.  So haben wir eine erste Datierungshilfe für unsere Villa Rustica.

Schreibtäfelchen

Ein weiterer spezieller Fund waren die Fragmente eines Schreibtäfelchens. (Abb. 11) Solche Täfelchen dienten dem täglichen Bedarf an Schreibgerät, denn Papier war ja noch nicht bekannt. Es gab zwar Papyrus und auch Pergament, aber beide waren viel zu teuer für den normalen Verbraucher.
 
Diese Täfelchen bestanden aus relativ dünnen Fichtenholzplatten, die innerhalb eines Rahmens leicht vertieft und dort mit Wachs ausgefüllt waren. Meist waren 2 solche Täfelchen, die etwa DIN A5 Größe hatten, mit Ösen versehen und durch Lederriemen zusammengebunden. Man schrieb mit Hilfe eines Metallstiftes, Stilus genannt, auf die geglättete Wachsfläche. Der Stilus war vorne spitz, hatte aber ein flaches Ende, mit dem „radiert“ werden konnte. Wurde das Geschriebene nicht mehr gebraucht, glättete man die ganze Wachsfläche; daher der Ausdruck „Tabula Rasa“.
 
Solche Täfelchen werden sehr selten gefunden, da sie als organisches Material ziemlich rasch vergehen. Nur in feuchter Umgebung haben sie eine Chance, erhalten zu bleiben. Vergleichsexemplare kennt man aus einem Moorgebiet in der nördlichen Schweiz. Dort wurden über 600 Stück geborgen. Nach unserer Kenntnis handelt es sich hier um das zweite, in Bayern gefundene Exemplar, und eben nur deswegen, weil es vor 1800 Jahren in den hiesigen Brunnen gelangte. Zudem ist es besonders groß!
Ausgestellt ist eine Rekonstruktion. (Abb. 12)

                    

Abb. 11 Fragmente des gefundenen Schreibtäfelchens   Abb. 12 daraus rekonstruiertes Schreibtäfelchen  mit originalem Stylus                                                         

 Schlüssel

Weitere bemerkenswerte Funde waren zwei Schlüssel (Abb. 13). Die damaligen Schlösser waren keine Drehschlösser wie heute, sondern hatten einen Schiebemechanismus; man mußte den Schlüssel in das Schlüsselloch stecken und dann seitlich verschieben. Der Bart mußte natürlich, wie heute, passen.

     

  Abb. 13 die beiden Schlüssel

Keramik

Wie immer bei solchen Ausgrabungen wurden große Mengen an Keramikscherben gefunden. Ebenso wie heute Porzellan oder Steingut war Keramik überall im Haushalt vertreten, selbst als Kochtöpfe. Auch als Verpackungsmaterial für den Transport flüssiger Ware oder von Schüttgut, wie Getreide, Früchten, Mehl o. ä., wurden Keramikgefäße genutzt. Zudem vergeht Keramik nicht, wenn sie in den Boden kommt. Deshalb stellen solche Scherben den Löwenanteil an Fundmaterial bei jeder Grabung.

Tierknochen

Ebenso tauchen immer wieder Tierknochen auf, die auf Ernährung und Lebensweise der Villa schließen lassen. Rind, Schwein, Schaf, Ziege sind immer zu finden, wobei das Schwein der Hauptfleischlieferant war. Rinder wurden zur Milchproduktion und vor allem als Zugtiere gehalten. Man sollte sich in Erinnerung rufen, daß das lastentaugliche Pferdekummet erst im frühen Mittelalter erfunden wurde, das Pferd also zur Römerzeit in erster Linie Reit- und nicht Zugtier war.

Holzfunde

Von Bedeutung, jedoch nicht ausgestellt, sind die Holzfunde aus dem Brunnen. Sie erlauben eine dendrochronologische Datierung, d. h. man kann aufgrund der Struktur der Jahresringe feststellen, wann ein gefundenes Stück Holz geschlagen wurde. Voraussetzung ist eine hinreichende Größe und ein entsprechender Querschnitt des Stammes.
 
Hier wurden sog. Brunnenhölzer aus der Schachtwand geborgen.  Sie sind aus Eiche und wurden eindeutig im Jahr 133 n. Chr. geschlagen. Wir sind also ziemlich sicher, daß die Villa Rustica in diesem oder dem folgenden Jahr gebaut wurde, denn die Wasserversorgung gehörte sicher zu den ersten Infrastrukturmaßnahmen. Innerhalb des Schachtes fand man außerdem Buchenhölzer, die um 147 n. Chr. gefällt worden sind.
 
Demnach wäre die Villa zur Zeit Kaiser Hadrians (117 – 138 n. Chr.) gebaut und möglicherweise während der Herrschaft von Antoninus Pius (138 – 161 n. Chr.) und auch Marc Aurel (161 – 180 n. Chr.) bewohnt gewesen.

Der Besitzer

Mit einiger Wahrscheinlichkeit kennen wir den Namen des „Besitzers“ ! Der Grund könnte folgender sein:
 
1. Im Jahr 1912 wurden beim sog. Einbettl, d.h. am südlichen Ortsrand von Leutstetten, von der Villa aus zu sehen, zwei römische Brandgräber aus der 2. Hälfte des 2.Jh. gefunden. Sie dürften zur Villa gehört haben, da sonst keine Ansiedlung in der Nähe bekannt ist. Zudem wurden solche Grabstätten immer an Wegen oder Straßen angelegt, damit Vorbeikommende die Gräber sehen konnten.
 
 
2. Bei Renovierung von St. Alto in Leutstetten wurde 1963 unter dem rechten Seitenaltar ein vermauerter römischer Grabstein entdeckt. (Abb. 14) Von Größe und Gewicht ist er so, daß er sicher nicht weit transportiert wurde; 700 kg bis 1 Tonne schleppt man nicht weiter als unbedingt nötig. Es ist also wahrscheinlich, daß der Grabstein zu den Brandgräbern gehört, die Brandgräber aber zur Villa.

  

Abb. 14 Grabstein des Pintamus und seiner Frau Popeia

 
Der Text nennt einen Publius Iulius Pintamus und seine Frau Popeia, die „dem besten Gatten“ den Grabstein gesetzt hat. Er stammte aus Augusta Bracara, dem heutigen Braga in Nordportugal. Er machte offensichtlich militärisch und im Kommunalbereich Karriere und war demnach ein ziemlich wohlhabender Mann. Er scheint hier möglicherweise einen Nebenwohnsitz gewählt zu haben.
Die Größe bzw. Kleinheit des Anwesens legt den Schluß nahe, daß hier nicht unbedingt ein großer Betrieb existierte, sondern eher der notwendige Eigenbedarf gedeckt werden sollte. Vielleicht hat auch die Lage gereizt, denn wenn man sich die heute vorhandenen Bäume im Süden wegdenkt, hat man einen phantastischen Panoramablick auf die Alpen. Vielleicht war Pintamus der Erste unter denen, die sich –  möglicherweise neben einem standesgemäßen, großen Domizil –  eine Villa am Starnberger See leisteten….
 
Interessant ist auch noch folgende Überlegung:
Aus sog. Militärdiplomen weiß man, daß in Raetien zwei Kohorten aus Braga lagen, der Heimat des Publius Pintamus. Es handelte sich um die cohors III Bracaraugustanorum, die in Theilenhofen bei Weißenburg stationiert, und die cohors V Bracaraugustanorum, deren Standort das Römerkastell Künzing zwischen Deggendorf und Passau war.
 
Da Kohorten häufig landsmannschaftlich ausgehoben und als solche zusammen eingesetzt wurden, ist es nicht unrealistisch anzunehmen, daß Publius Pintamus, weil er aus Augusta Bracara stammte, in einem der beiden Lager als Dekurio einer Reitereinheit gedient hat; da die cohors III als „equitata“ (beritten) genannt wird, könnte das römische Theilenhofen sein Standort gewesen sein.
 
Selbstverständlich handelt es sich hier um Spekulation, aber sie ist nicht unplausibel und erlaubt uns, den Ort, an dem wir stehen, nicht nur als totes Zeugnis der Vergangenheit zu sehen.

 Der Schutzbau

Die relativ gute Erhaltung der Fußbodenheizung legte den Gedanken einer Konservierung nahe. Sowohl der Landkreis als auch die Stadt Starnberg stellten finanzielle Mittel bereit, um einen entsprechenden Schutzbau zu erstellen. Planung und Bauausführung lag in den Händen des Büros  a + p Architekten  in München ( www.ap-architekten.de ).  Es entstand eine Großvitrine von 7 x 10 m Grundfläche und 3 m Höhe.  Die Wände sind vollständig aus Glas, transparente Dachkuppeln verteilen gleichmäßig das Tageslicht.
 
Die übrige Struktur der Villa verlangte eine andere Vorgehensweise. Die durch Steinraub entstandenen Gräben wurden aus Gründen der Bewirtschaftung wieder mit den hier reichlich vorhandenen Rollsteinen verfüllt. Diese sog. Ausbruchsgräben sind ca. 60 cm breit (= 2 röm. Fuß!) und unterschiedlich tief. Auch wenn die Originalsubstanz verschwunden ist, blieb die Linienführung der Grundmauern aber eindeutig erhalten.
 
Die Struktur und Raumfolge des Haupthauses kann nur vermutet werden: der Eingang dürfte im Nordosten gelegen haben.  Der große Raum westlich der Fußbodenheizung war wahrscheinlich unterteilt. Der bereits erwähnte Keller war von außen an das Haupthaus angebaut.
 
Zusammen mit den die Rekonstruktion und den Schutzbau planenden Architekten wurde für die Sichtbarmachung der Struktur - nach unserer Kenntnis erstmalig - eine damals neue Methode eingesetzt:  Gabionen, d.h. mit Steinen gefüllte Drahtkörbe, die auf den Ausbruchsgräben plaziert  wurden.   Die Alternative wäre gewesen, die Gräben mit Beton auszugießen und dann aufzumauern, ein zeitraubendes und kostspieliges Vorgehen.
Die Gabionen hatten zudem den Vorteil, daß sie kein ausgebildetes Fachpersonal benötigen; so konnten in relativ kurzer Zeit von freiwilligen Helfern der Gesellschaft für Archäologie und Geschichte ca. 14 Tonnen Steine verarbeitet und verfüllt werden.