Statue

Geschichte Bratananiums

 

Die im Kopfbild gezeigte Tafel steht schon Jahrzehnte in Gauting an der Gabelung von Reismühlerstraße und Reismühler Weg, also ungefähr am nördlichsten Ende des ehemaligen römischen vicus Bratananium, an dem die römische Straße zur Würm hinunter führte. Am 9. Mai 2019 wurden am südlichen Ortsausgang der Reismühlerstraße zwei Schautafeln enthüllt, die zum einen das beschreiben, was vom römischen vicus bis jetzt bekannt ist und zum anderen das große römische Gräberfeld in der anschließenden landwirtschaftlichen Fläche, so wie die heute noch erkennbare Grabenkante der römischen Straße Richtung Kempten und Bregenz und den 1984 freigelegten keltisch-römischen Brandopferplatz  auf dem Gelände der heutigen Pferdekoppel Richtung Mühltal. Die Tafeln wurden in unserer Gesellschaft konzipiert und erstellt, mit dem BLfD und der Gemeinde abgestimmt und von ihr auch aufgestellt. Das Layout gestaltete Maja Zorn, Mediendesign. Damit ist es unserer Gesellschaft gelungen, in bewährter Zusammenarbeit mit der Gemeinde Gauting für die Öffentlichkeit ein Stück Gautinger Frühgeschichte spontan nachlesbar und anschaubar zu machen.

Nachdem Ende 2020 eine der beiden Pulttafeln von einem Autofahrer angefahren und verschoben wurde, hat die Gemeinde Gauting im Frühjahr 2021 die Tafel wieder gerichtet, die gesprungene Glasscheibe ersetzt und mit zwei Findlingen ein erneutes Beschädigen verhindert. Zusätzlich  hat sie dort eine Bank aufgestellt, von der aus man sich jetzt in Ruhe betrachten kann, was auf den Tafeln beschrieben ist - ein schönes Plätzchen.

Die beiden Tafeln und die Bank stehen am linken R d der Kiesfläche auf dem linken Bild. 

            

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Weil auf den zwei Tafeln nur in kappen Worten Bratananium vorgestellt werden kann, folgen hier ein paar weiterführende Erklärungen zur Gesamtsituation:

Nach zwei Karten zur Geographie des römischen Reichs und speziell zum Verlauf des Limes folgt die geschichtliche Entwicklung Bratananiums mit der Eroberung Raetiens unter Augustus und die Zeit in Bratananium nach Augustus bis zum Beginn des Mittelalters. Wie Gauting im frühen Mittelalter aussah, wird durch die Grabungen der letzten Jahre und den daraus zu gewinnenden Erkenntnissen immer mehr Gestalt annehmen.

1. Gesamtausdehnung des römischen Reichs im 3. Jahrhundert n. Chr.


 

Abb. 1 Römisches Reich im 3. Jh.

Situation östlich des Rheins und Verlauf des Limes
Für die Römer bot das dünn besiedelte Voralpenland eine vereinfachte Verbindung zwischen den westlichen und den östlichen Provinzen. Die Barriere der Alpen verursachte bis dahin insbesondere in den kalten Jahreszeiten erhebliche Probleme bei Truppenverschiebungen.
Die permanenten Einfälle der Barbaren führten schließlich zum Bau der befestigten Reichsgrenze, des Limes.  (Abb. 2)

Abb. 2 Verlauf des Limes

 

2. Geschichtliche Entwicklung Bratananiums

2.1 Rätien unter Augustus

Man kann zur Zeit der römischen Besatzung der hiesigen Gegend in den ersten Jahrhunderten nach Christus von folgender Wirtschafts- und Bevölkerungsstruktur ausgehen:

Es gab Militärstationen und Kastelle, die die Truppen beherbergten, wie Weißenburg (Biriciana), Eining (Abusina) oder Künzing bei Deggendorf.

Daneben entstanden die großen Städte als Verwaltungszentren wie Kempten (Cambodunum), Augsburg (Augusta Vindelicum) oder Regensburg (Castra Regina) und zahlreiche sog. Vici (Einzahl Vicus) und eine Vielzahl von einzelstehenden Villae rusticae (Bauernhöfen). n den Vici gab es keine Bauernhöfe, sondern nur Ansiedlungen von Händlern und Handwerkern.

Gauting (Bratananium) war ein solcher Vicus. Überreste von Niederlassungen von Händlern und Handwerkern sind dort nachgewiesen, ebenso eine Straßenstation mit Wechselmöglichkeit für Zugtiere und Pferde. Solche Straßenstationen waren außerordentlich wichtig für den Personen- und Warenverkehr. Sie wurden in einem Abstand angelegt, den ein Ochsengespann an einem Tag schaffen konnte, d.h. in etwa 25 – 30 km Entfernung.

Gauting, d.h. Bratananium, verdankt seine Entstehung einer solchen Straßensituation. Hier trafen zwei Hauptstraßen aufeinander, und zwar die eine von Kempten kommend, die andere von Augsburg, die von hier aus nach Salzburg (Iuvavum) führten. Auf der Landkarte ist zu erkennen, wie wichtig Bratananium für den Verkehr zwischen Italien und Gallien einerseits und dem Nordosten andererseits war.(Abb. 3)

 

Abb. 3 Römerstraßen

Beim Einmarsch der Truppen von Augustus war sofort klar, daß die Kreuzung dieser wichtigen, in ihrer Anlage bereits vorhandenen Straßen militärisch gesichert werden mußte. Der Beginn der römischen Besiedlung Bratananiums dürfte also um das Jahr 15 v. Chr. zu datieren sein. Siedlungsspuren, die bei einem Hausbau im Jahr 1957 zutage kamen, lassen es als relativ gesichert erscheinen, daß in Tiberischer Zeit ein Militärposten tatsächlich existierte.

2.2 Bratananium nach Augustus
Dagegen sind die Funde aus Claudischer Zeit (ca. 40 - 65 n.Chr.) so spärlich, daß angenommen werden muß, daß durch die Vorverlegung der Truppen in Richtung Donau in Bratananium zunächst nicht weitergesiedelt wurde. Es ist anzunehmen, daß eine weitere Besiedelung erst wieder in frühflavischer Zeit, d.h. ca. 70 n.Chr., erfolgte. In der Zeit der Kaiser Vespasian (69 - 79) bis hin zu Hadrian (117 - 138) hat der Ort einen kräftigen Aufschwung genommen. Funde belegen, daß zwei Brandkatastrophen den Ort heimgesucht haben. Die erste war vermutlich zu Anfang des 2. Jh., die zweite gegen Ende des 2. Jh.Wann der Ort endgültig zerstört wurde, ist bis jetzt unklar. Es könnten Alamannen-Einfälle in der 1. Hälfte de 3. Jh. gewesen sein, es ist aber auch denkbar, daß der Ort auch noch im 4. Jh. bewohnt war. Beim Bau des Rathauses (1972/74) an der Bahnhofstraße wurden spätrömische Funde und Gräber entdeckt. Archäologisch liegt danach - zumindest bis jetzt -  eine größere Lücke vor, auch wenn die Straßenstation möglicherweise durchgehend weiter benutzt wurde. Erst frühbajuwarische Reihengräber aus dem 6. Jh. lassen auf Wiederansiedelung an den alten Straßen schließen.Übrigens ist der Name "Bratananium" aus der Tabula Peutingeriana bekannt, einer mittelalterlichen Kopie einer spätrömischen Straßenkarte. (Abb. 4)

 

Abb.4 Tabula Peutingeriana

3. Gauting im frühen Mittelalter

Die Zeit des frühen Mittelalters ist in Gauting zwar nicht unmittelbar sichtbar, wird aber fallweise aufspürbar, wenn bei Haus-Abriß und Neubebauung im Bereich zwischen Würm und Münchenerstraße einerseits und am der Bahnhofsstraße andererseits Bodeneingriffe erfolgen. So kamen in den Jahren 2013/2014 bei der Bebauung der Grundstücke Münchenerstr. 15/17/19 neben vielen Scherben, Metallteilen und Münzen zahlreiche Pfostenlöcher von Gruben- und Lang-Häusern zum Vorschein, außerdem ein Skelett aus einer Hofbestattung. Da die nahe gelegene Pfarrkirche St. Benedikt in ihren Anfängen bis ins frühe Mittelalter zurückreicht, könnte hier an der Münchenerstraße das Zentrum des mittelalterlichen Gauting gelegen haben, zumal in dem sich nördlich anschließenden, vor mehr als 10 Jahren bebauten Tassilohof ebenfalls frühmittelaterliche Funde zu Tage kamen. Man darf sich die heutige Münchenerstraße aber nicht als Grenzlinie der Bebauung vorstellen, denn auch beim Bau des Schuh-Linse-Hauses und weiter östlich an der Buchendorferstraße stießen die Archäologen auf mittelalterliche Spuren, ja sogar jenseits der Würm am Beginn der Reismühlerstraße und in der Annastraße. Auch in Buchendorf selbst und an der Neuriederstraße zeigten sich mittelalterliche Bodeneingriffe. 

Schon Mitte des 19. Jahrhunderts wurden am sog. Pfingstmittwochbühel (Krapfberg) frühbajuwarische Gräber gefunden. Solche Funde wiederholten sich bei weiterer Bebauung, z. B. beim Bau der ersten Sparkasse in den dreißiger Jahren des  letzten Jahrhunderts. Leider wurde diesen wiederholten Funden nicht die gebührende Aufmerkasamkeit geschenkt, wie sich jetzt bei den beiden Grabungen 2018 und 2020 herausstellte. Die dabei gemachten Funde sind so herausragend, dass dieses Gräberfeld an Ausmaß und Fundausstattung der Bedeutung der Gräberfelder von Aschheim und Neuaubing nahe steht. Von den jetzt freigelegten 10 Gräbern mit insgesamt 17 Bestattungen sind das Grab einer jungen Frau aus dem frühen 6. Jahrhundert und ein wenig später angelegtes Grab eines (fränkischen?) Kriegers hervorstechend. Den reichhaltigen und tlw. sehr seltenen Schmuck der jungen Frau haben wir restaurieren lassen und seit Herbst 2023 im Rathaus  sehr provisorisch ausgestellt. Der Schmuck und die Waffen des Kriegers befinden sich derzeit in einer Restaurierungswerkstatt und werden nach Fertigstellung ebenfalls im Rathaus ausgestellt. Eine große Herausforderung besteht darin, nach der Restaurierung Fachkräfte für die wissenschaftliche Aufarbeitung zu finden (und zu bezahlen).

Aus all diesen einzelnen Befunden und Fundstellen ein Gesamtbild des (früh-)mittelalterlichen Gauting zu gewinnen bemühen sich zusammen mit uns die Gemeinde Gauting, das Bay. Landesamt für Denkmalpflege (BLfD) und die Archäologische Staatssammlung München mit Hilfe interessierter Wissenschaftler und der LMU München.